Morgens um halb acht ist die Welt noch in Ordnung. Nur wenige Minuten, dann sind wir endgültig bei der Arbeit angekommen. Doch vorher kämpfen wir uns mit Scharen von gleichgesinnten Lemmingen durch die muffigen Unterführungen des Öffentlichen Nahverkehrs ans Tageslicht vor. Es ist nicht mehr weit. Da vorne ist es gleich. Man riecht es schon. Dieser warme, teigige Geruch von frischem Brot und anderen Backwaren. Vergessen die Rempeleien der Bürozombies. Geschafft. Der heilige Gral ist gefunden!

“Was darf’s denn sein?” fragt eine gutgelaunte Stimme während man sich noch den Ipodhörer aus dem Ohr fummelt. In dem Gesicht der jungen Verkäuferin geht die Sonne auf, der ganze Laden erstrahlt in göttliches Licht getaucht. Unwichtig die Auslagen wie Croissant und süße Stückchen, “nur eine Butterbrezel bitte” – mehr bedarf es nicht den Morgen zu starten, um zu retten, was noch zu retten ist.

Schwaben’s meistgekauftes Gebildbrot ist und bleibt die Brezel. Ein Achternknoten, im Schnitt 95 Cent kostend, der in Flüssigkeit getunkt wird wie man sie auch als Seife kennt (Natronlauge). Ihr ist es gelungen die geschwungene Zwirbel in der ganzen Welt berühmt zu machen. Sie verübte im Jahr 2002 als knuspriges Dauergebäck verkleidet sogar eigenmächtig ein Beinahe-Attentat auf den damaligen Präsidenten der USA, George W. Bush. Gleichermaßen wunderlich wie sagenumwoben ist auch der Ursprung dieses Gebäcks. So soll ein italienischer Mönch schon im Jahr 610 A.D. seine frommen “pretiola” erfunden haben, um Kindern etwas beizubringen, da sie der Kreuzung der Arme vor der Brust nachempfunden waren. Das Beten als Leckerbissen sozusagen.

Ganz anders sieht man das in Deutschland, dem nahezu unangefochtenen Heimatland der “Brezn”. Frieder, ein zum Tode verurteilter Hofbäcker aus Bad Urach, hatte angeblich die Chance erhalten sein Leben zu retten, indem er “einen Kuchen” herstellte, “durch den die Sonne dreimal scheint, dann wirst du nicht gehenkt, dein Leben sei dir frei geschenkt” so der Graf Eberhard im Barte. Damals konnte ja niemand ahnen, dass die Hauskatze die rohen Teiglinge in die Putzmitteleimer mit heißem Aufguss schubsen würde. Da sein Überleben von dem knotigen Etwas abhing, backte Frieder sie dennoch und der Rest ist Geschichte.

Wenn man mal davon absieht, dass die verwendete Natronlauge in der Lebensmittelindustrie zum Reinigen, Spülen von Flaschen in Getränke-Abfüllanlagen, Beseitigung fettiger und öliger Verunreinigungen, Reinigen von Edelstahltanks und Entfernung der Schalen von Obst sowie Gemüse verwendet wird, so ist Ihre Anwendung beim Backen einzigartig. Die Brezel wird für wenige Sekunden in Natronlauge (E 524) getaucht. Sie erhält dadurch die typische braune Färbung und den speziellen, “seifigen” Geschmack.

Zurück in der Gegenwart, kurz nach halb acht, ist die rehbraune Schleife immer noch handwarm. Die Butter schmilzt so langsam heraus und durchweicht die Papiertüte stetig. Sie schafft es nicht mehr bis ins Büro. Noch auf den letzten Metern wird sie genüsslich verzehrt. Es knistert ganz leise, wenn die krosse Kruste splittert. Kein Gedanke an Industrielaugen und betende Arme wird verschwendet. Nur das weiche, frische Hefebrot ist in diesem Moment wichtig, wenn die ersten Sonnenstrahlen die graue Stadtkulisse erobern. Und auf dem Boden bildet sich ein Schatten einer vielleicht 2398 Jahre alten Erfindung durch die die Sonne dreimal scheint. Ob göttliche Fügung oder menschliches Versagen ist egal. So oder so, das soll uns erstmal einer nachmachen.

Save